Der Vorabend des Krieges (German Edition) by Ham Paul
Autor:Ham, Paul [Ham, Paul]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Lume Books
veröffentlicht: 2020-02-23T16:00:00+00:00
Kapitel 5 – Zur gleichen Zeit, im Land der grimmigen Ziegenhirten...
Weit entfernte koloniale Auseinandersetzungen waren als Bedrohung für die Kronjuwelen oder als Auslöser eines europäischen Krieges eher unwahrscheinlich. Die Großmächte hatten die Kunst zur Vollendung gebracht, imperiale Dispute durch Verhandlungen oder Tauschgeschäfte zu lösen – man erinnere sich nur der Fashoda- und Agadirkrisen –, Fähigkeiten, deren Durchführung ihnen in der Heimat offenkundig nicht gelang. Die bloße örtliche Entfernung derartiger Ereignisse – in Afrika, Fernost und Indien – schützte die Mächte vor einer Konfrontation in Europa.
Es war wesentlich wahrscheinlicher, dass ein europäischer Krieg über einer heiß umkämpften Region in der Nähe der Heimat ausbrechen würde; dort, wo die Grenzen der Großmächte aneinander stießen und ihre unmittelbaren strategischen und politischen Interessen auf dem Spiel standen. Entfernt man noch eine weitere Schicht der Geschichte von 1913, wird deutlich, wie die Balkanhalbinsel genau diese Rolle im aufkommenden Sturm einnehmen sollte. Tatsächlich fanden Deutschlands Belagerungsmentalität und Russlands historische Ambitionen einen gefährlichen Ausdruck in dieser hitzköpfigen, rückwärts gerichteten Ecke Europas, für die sich die wenigsten in Whitehall oder dem Quai D’Orsay vor 1912-13 überhaupt interessiert hatten. Warum näherten sich die Interessen der Großmächte über dieser bukolischen Halbinsel an, der Heimat von grimmigen Ziegenhirten, Familienwahnsinn und verwirrten Aristokraten? Weshalb war ihr Zusammenstoß hier so gefährlich für Europa?
Die schrittweise Vertreibung der Türken, die Explosion religiösen und rassistisch bedingten Hasses und die Unterstützung dortiger Staaten durch die großen Machtblöcke in einer Reihe von kleinen Kriegen: Dies waren die Kräfte die den Balkan im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert erschütterten und die Kriegsfronten in Europa formten. Hier sollten zwischen 1880 und 1914 riesige Machtblöcke, die durch Religion oder Ethnizität voneinander getrennt waren, aufeinander stoßen und einen grausamen Krieg um die Vorherrschaft kämpfen. Eingebettet in dieses Chaos im Balkan waren drei erbitterte ethnische und religiöse Rivalen: Türken/Muslime; Teutonen/Protestanten-Katholiken; Slawen/Orthodoxe.
Luigi Albertini, einer der renommiertesten Historiker bezüglich der Ursachen des Ersten Weltkriegs, interviewte viele der damaligen politischen Anführer und bringt die überzeugendste Erklärung für dieses Balkan-Chaos vor: Es entstand aus Russlands alter Mission heraus, die Slawen aus der türkischen Besetzung zu befreien und seinem angeblichen Anspruch auf die Meeresenge der Dardanellen gerecht zu werden. Zu diesem Zweck stürzte Russland wiederholt die von ihm unterstützten slawischen Staaten (hauptsächlich Serbien) in einen bewaffneten Aufstand und stachelte damit den Zorn der Erzfeinde Deutschland und Österreich-Ungarn an, die eine Allianz mit der Türkei suchten, um Russlands Vorherrschaft in den Balkanstaaten zu untergraben. „Mindestens acht Jahre“, erinnert Albertini uns, „hatte [Russland] den Türken gedroht, entweder ihr Gebiet einzunehmen oder den orthodoxen Slawen und Griechen zu helfen, sich vom türkischen Joch zu befreien.“ [65] Ohne auf die pro-slawische Rhetorik Sankt Petersburgs einzugehen, waren die Ziele Russlands durchaus aus Eigeninteresse entstanden: der türkischen Kontrolle über die Meeresengen und das Schwarze Meer ein Ende zu bereiten und seiner Schifffahrt eine direkte Passage bis ins Mittelmeer zu ermöglichen. Dies war Russlands alter Traum und gleichzeitig die größte Angst Deutschlands und der Türkei. Alle Handlungen in den Balkanstaaten müssen unter diesem Gesichtspunkt betrachtet werden.
Dennoch wäre es töricht, die immateriellen Verbindungen Russlands zu den Balkanstaaten – Rasse und Religion – herunterzuspielen.
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